
Publikationen
Die Erarbeitung zeitgemäßer Unterrichtsmaterialien für den Fremdsprachenunterricht an Rudolf-Steiner- bzw. Waldorfschulen ist seit vielen Jahren ein Anliegen der verschiedenen „Sprach-Wochen“ im Bund der freien Waldorfschulen.
Unser Dozent Alain Denjean aus Stuttgart hat eine völlig neu konzipierte Schüler-Grammatik „Petite grammaire du français“ entwickelt, für deren Herausgabe und Vertrieb unser Verein seinen Selbstverlag gegründet hat.
Diese Grammatik wurde inzwischen von Siegmund Baldszun rezensiert.
Petite grammaire simplifiée du français
à l’usage des élèves de 9 à 15 ans
Version avec support pédagogique pour les enseignants
Edition Semaine Française 2021
Vorliegend auch als A4-Heft
(ohne pädagogischem Kommentar für die Schüler)
Zu beziehen über: siegmund.baldszun@mensch-und-sprache.de
Die französische Schüler-Grammatik von Alain Denjean
mit pädagogischem Kommentar für Lehrende
Diese 2021 herausgegebene Grammatik ist die lang gereifte Frucht des forschenden Lehrers und Dozenten Alain Denjean (Stuttgart Uhlandshöhe), wie er sie auch in den Seminaren von Aus- und Fortbildungen und auch z.B. an der Semaine Française vertreten hat.
Schon in den 90er Jahren hatte Denjean zusammen mit damaligen Freunden und Kollegen (Meike Bischoff, Hélène Hell, Rose Marie Hauff, Magda Maier, Josiane Michel, Brigitte Morgenstern, Serge Maintier, René Ricard) eine intensive Forschungsarbeit betrieben, die aus dem Studium der grammatikalischen Phänomene eine Vertiefung und Verlebendigung der Grammatik in menschenkundlicher Perspektive anstrebte. Diese Arbeit mündete 1995 in eine Veröffentlichung als Manuskriptdruck der Pädagogischen Forschungsstelle: Zum fremdsprachlichen Grammatikunterricht der Waldorfschulen. Das Buch behandelt sowohl den Zusammenhang mit der Sprachwissenschaft, als auch Steiners philosophischen Ansatz der Sprachbetrachtung, Berührungspunkte mit Eurythmie und Sprachgestaltung sowie die Methodik des Grammatiunterrichts, die Funktion des Bildes und eine neue Typologie der Übungen. Vor diesem Hintergrund betrachtet Denjean dann ausführlich die „inneren Verhältnisse einer ganzheitlichen Grammatik“ in den Bereichen von Wortarten, Syntax und Lautlichkeit. Kurzum, das Buch ist bis heute mit seinem integrativen Ansatz eine Schatzkiste für alle Forschenden.
Die jetzt erschienene Schülergrammatik mit pädagogischem Kommentar ist eine in gewissem Sinne radikal neue Form von Grammatik überhaupt, sehr bescheiden, knapp, kondensiert aber reich hervorquellend aus der Menschenkunde der Waldorfpädagogik. Und: Es wird der Vorschlag Steiners konsequent berücksichtigt, nur die grundlegenden Regeln zu behandeln, ohne Beispiele, denn diese sollen die Schüler im Unterricht selber immer wieder neu finden. Das ist gerade das pädagogisch Fruchtbare und Nachhaltige und jeder, der die lerneifrige Freude von Mittelstufenschülern einmal erlebt hat, immer neue und originellere Anwendungsbeispiele zu entdecken, weiß das zu schätzen. Besonders, wenn dann am Ende des Schuljahres im Zeugnis formuliert werden kann: X hat die Regeln freudig mit erarbeitet, verstanden, gelernt und konnte viele eigene treffende Beispiele dazu finden.
Damit unterscheidet sie sich schon im Ansatz von allem, was zur Zeit auf dem Markt ist. Zudem sagt der Autor gleich zu Beginn, dass jeder diese Grammatik nach seinen Bedürfnissen mit seinen Schülern vervollständigen könne; eine offene, solidarische Geste, die uns zum Mitgestalten und Mitforschen einlädt, auffordert.
« Cette petite grammaire simplifiée de la langue française essaie de ne traiter que les éléments grammaticaux qui peuvent être importants pour l’étude du français comme langue étrangère entre 9 et 14 –15 ans. Elle pourra être complétée à loisir par l’enseignant et ses élèves. »
Im Mittelpunkt steht der dreigliedrige Mensch im Zusammenhang mit den drei Weltbereichen der Sprache, wie sie als Ausgangspunkt und Ziel der Beschäftigung mit grammatikalischen Phänomenen von Steienr immer wieder charakterisiert werden: Die Welt des Substantivischen (Distanz, Haupt), die dazu polare Welt des Verbalen (Mittun, Gliedmaßen) und als vermittelndes Element die Welt des Adjektivischen/Adverbialen (Fühlen, Brustraum). Es ist heute bekannt, wie die Entdeckungen der Neurowissenschaften (Spiegelneurone) bis in die Gehirnfunktionen die physische Wirkung der Sprache offengelegt haben. Denjean weist im Vorwort der Grammatik darauf hin, indem er Steiners Bemerkungen aus dem Kurs „Methodisch-Didaktisches“ (GA 294; 4.Vortrag; 25.08.1919) zitiert:
„Was tun wir denn eigentlich, indem wir das unbewußte Sprechen zu dem grammatikalischen, zu dem Wissen von dem Grammatikalischen erheben? Wir gehen bei unserem Zögling dazu über, die Sprache von dem Unbewußten überhaupt ins Bewußte zu erheben; wir wollen ihm gar nicht pedantisch Grammatik beibringen, sondern das, was sonst unbewußt vollzogen wird, zum Bewußten erheben. Unbewußt oder halb bewußt rankt sich in der Tat der Mensch im Leben an der Außenwelt hinauf so, wie es dem entspricht, was man in der Grammatik lernt. In der Grammatik lernen wir zum Beispiel, daß es Hauptwörter gibt. Hauptwörter sind Bezeichnungen für Gegenstände, für Gegenstände, die in gewissem Sinne im Räume abgeschlossen sind. Daß wir an solche Gegenstände im Leben herantreten, ist nicht ohne Bedeutung für unser Leben. Wir werden uns an alledem, was durch Hauptwörter ausgedrückt wird, unsere Selbständigkeit als Menschen bewußt. Wir sondern uns von der Außenwelt dadurch ab, daß wir lernen durch Hauptwörter die Dinge zu bezeichnen (…) Indem ich einen Gegenstand durch ein Hauptwort bezeichne, sondere ich mich von ihm ab; indem ich die Eigenschaft ausspreche, rücke ich wieder mit ihm zusammen, so daß die Entwickelung unseres Bewußtseins im Verhältnis zu den Dingen in Anreden spielt, die man sich durchaus zum Bewußtsein bringen muß. – Spreche ich das Tätigkeitswort aus: Der Mann schreibt –, dann vereinige ich mich nicht nur mit dem Wesen, von dem ich das Tätigkeitswort ausspreche, sondern ich tue mit, was der andere tut mit seinem physischen Leibe.“
Konsequent werden dann auch nacheinander die Themenbereiche Verben, Substantiv, Adjektiv/Adverb sowie die weitere Satzgrammatik (Präpositionen, Fragesätze, Passiv, Verneinung, Pronomen usw.) behandelt. Denjean findet durch seinen am Phänomen orientierten, künstlerischen Zugang eine Vielzahl von neuen, ungewöhnlichen Bildern, bildhaften Ausdrücken, die keinen illustrierenden, sondern einen qualitativen Blick ermöglichen. Diese eigenständige Suche nach dem passenden Bild wird im anschließenden pädagogischen Kommentar deutlich erläutert und entspricht dem Anliegen Steiners nach bildhaftem Unterricht. Da begegnen wir dann der Familie der Verben, den zwei Brüdern -er und -re, den Zwillingen -ir, dem kleinen Bruder auf -oir, den geschminkten Verben, den armen und hilfreichen Verben, den Spiegelverben, der Waage des Vergleichs, der Fahrradbremse der Verneinung und auch dem Chamäleon der Adjektive. Lässt man sich auf diese bildhaften Begriffe ein, baut sie sogar mit seinen Schülern weiter aus, dann kann man später getrost auch die lateinischen Begriffe hinzunehmen und sich trotzdem freuen, wenn die Abiturienten wieder mit den Bildern ankommen.
Der Kommentar beschreibt die heutige Situation einer „grammaire post-linguistique“, die nach der notwendigen intellektuellen-abstrakten Auseinandersetzung mit sprachwissenschaftlichen Ansätzen in neuer Weise Mensch und Sprache wieder vereinigt und phänomenologisch aufeinander beziehen kann. Hier bringt Denjean dann die Bewusstseinszustände des Menschen (schlafend, träumend, wachend) mit dem Erlernen von Sprache zusammen: Die Grammatik „schläft“ zunächst im Kind, welches sprechen lernt, und wird dann sukzessive träumend im Wort bewusst und in der Satzgestaltung schließlich wach im Denken erfasst.
Entsprechend führt dann Denjean seine Betrachtung der methodischen Schritte zur Erarbeitung der Grammatik ein. Aus dem natürlichen Sprachschatz, in dem die Grammatik unbewusst ruht, werden Phänomene im Unterricht herausgelöst, gewissermaßen tastend, träumend erfühlt, untersucht bis dann die Regel gedanklich klar formuliert werden kann. Dann geht der Weg zurück über verschiedene Anwendungsübungen bis dann eines Tages diese geübten Strukturen sozusagen wie im Schlaf beherrscht werden.
Bezogen auf die Lebensalter kann man verstehen, dass der Grammatikunterricht in den Fremdsprachen erst ab dem Rubikon (Erwachen aus dem mehr träumend-unbewussten Nachahmen, Distanzierung) im Sinne des Schrittes vom Bewusstsein zum Selbstbewusstsein empfohlen wird. So ist die Schülergrammatik als Heft für die Schülerhand (für Schüler von 9 – 15 Jahren gedacht) erst ab der 5. Klasse gedacht. Vorher sollte im Unterricht ein eigenes Heft geführt werden.
Der Kommentarteil erläutert dann den muttersprachlichen Grammatiklehrplan der Klassenlehrerzeit und endet mit einem Durchgang durch die Klassenstufen 4 – 9 für die französische Grammatik. Es ist dieser französischen Schülergrammatik von Alain Denjean zu wünschen, dass sie viele neugierige, forschende Lehrende findet, die mutig die Autobahn der bekannten Schulbuchverlage verlassen und sich auf eine ungewohnte Wanderung in das Land der Phänomene und der exakten Phantasie begeben. Aus Frankreich kommt uns da das Buch „La grammaire est une chanson douce“ von Eric Orsenna hilfreich entgegen.